Patrick Odier, einst der oberste Banker der Schweiz, kämpft an vorderster Front für das Klimaziel. Er hat dazu eine Initiative ins Leben gerufen. Im Interview spricht er über Motive, Widersprüche und warum er vieles anders sieht als die SVP.
Florence Vuichard 05.07.2021, 05.00 Uhr
Patrick Odier will das Netto-Null-Ziel mit Anreizen statt Verboten erreichen.
Sieben Jahre stand Patrick Odier an der Spitze der Schweizerischen Bankiervereinigung, eine Ära, die geprägt war vom ebenso schmerzvollen wie erfolglosen Kampf ums Bankgeheimnis. 2016 trat er zurück und kämpft nun dafür, dass der Finanzplatz nicht nur sauber, sondern auch grüner wird – ebenso wie die Wirtschaft als Ganzes. Ausgerechnet er, der Banker aus dem Genfer Traditionshaus, das Lieblingsfeindbild der Linken und Grünen, die nach verlorener Abstimmung nun per Initiative dem Finanzplatz verbieten wollen, in Umweltsünderfirmen zu investieren.
Sie sie waren für das CO2-Gesetz und stehen hinter dem Netto-Null-Ziel für 2050. Wieso kämpfen Sie denn dafür, dass Banken weiterhin in Erdölfirmen investieren dürfen?
Patrick Odier: Weil wir genau diese, meist sehr grossen Firmen brauchen, um die gesteckten Klimaziele zu erreichen. Konzerne in der Erdölindustrie, im Transportwesen oder im Bau, die heute viel CO2 produzieren, sind zwar verantwortlich für einen grossen Teil des Problems, aber sie werden auch am meisten zur Lösung beitragen müssen, indem sie sich wandeln und etwa ihre Erdölproduktion zugunsten von erneuerbaren Energien nach und nach austauschen. Sonst schaffen wir das nie.
Geht das nicht etwas zu langsam?
Ja, vielleicht. Aber so eine Transformation braucht Zeit. Und sie braucht Geld. Ohne Investitionen wird es noch länger dauern. Zudem: Die Befürworter eines Investitionsverbots nehmen einen riesigen Kollateralschaden in Kauf. Diese stark kritisierten Firmen sind oft grosse Arbeitgeber, meist in armen Regionen und Entwicklungsländern, die sich den Luxus nicht leisten können, auf Rohstoffgewinnung zu verzichten, weil ein grosser Teil der Bevölkerung davon lebt. Nachhaltigkeit hat nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale und eine ökonomische Dimension. Es braucht realistische Ziele und eine Transition, die allen gerecht wird.
Wie zum Beispiel?
Wenn heute in einer Region 50 Prozent der Bevölkerung von der Gewinnung fossiler Energien abhängig ist, dann sollten es in zehn Jahren fünf Prozent sein. In zehn Jahren kann man viel machen. Es gibt hier zwei entscheidende Indikatoren: Es gibt den aktuellen Grundstock, das heisst den CO2-Fussabdruck des Unternehmens, vor allem aber gibt es die Richtung, in welche das Unternehmen seinen Fussabdruck verändert, ob er noch grösser oder eben kleiner wird und wie schnell. Und das ist doch der entscheidende Faktor, wenn wir das Netto-Null-Ziel 2050 erreichen wollen. Wir können den Grundstock nicht mit zwei Handgriffen verschwinden lassen.
Ist es nicht naiv zu glauben, dass die Firmen das Problem von sich aus anpacken?
Überhaupt nicht! Im Finanzsektor können viele Akteure heute bereits eine Art Fieberkurve berechnen: für jede einzelne Branche. Bei Branchen, deren Temperaturkurven nach oben zeigen und der CO2-Ausstoss weiter zunimmt, kann man Unterschiede zwischen den Firmen finden – und dann logischerweise in jene investieren, die besser respektiver nachhaltiger unterwegs sind als die Konkurrenz.
Der Finanzplatz steht in der Kritik der Klimaaktivisten: Polizisten räumen im Juli 2019 die Blockade des Klimacamps der Gruppe Collective Climate Justice vor der UBS in Basel
Greenpeace hat gezeigt, dass die Nachhaltigkeitsfonds nicht nachhaltiger sind als normale Fonds. Wie können Kunden sicher sein, dass die Anlagen, welche ihnen die Bank als grün verkaufen will, tatsächlich grün sind?
Es gibt nur eine Möglichkeit, das Vertrauen der Kundschaft zu behalten: Mit Professionalität, Transparenz und klaren Standards. Letztere werden sich auch durchsetzen. Natürlich gibt es jene, die schnell viel Geld machen wollen und irgendetwas als grün verkaufen, das nicht grün ist. Aber wir können uns das nicht leisten. Wir haben bei Lombard Odier entschieden, dass alles, was wir finanzieren, auch mit der Nachhaltigkeitsbrille geprüft werden muss. Das ist Philosophie, es ist kein Produkt mehr. Wir können unseren Kunden beweisen, dass ihre Fonds nachhaltig sind. Wir können unseren Kunden vorrechnen, welche Auswirkung ihr Portefeuille auf die Klimaerwärmung hat – und wir können ihnen aufzeigen, wie sie anders investieren können, um beizutragen, dass die Temperatur nur um 1 statt 3 Grad steigt.
Aber es gibt schon Greenwashing?
Natürlich kann es das geben. Doch in der Politik dreht sich jetzt alles nur noch um Greenwashing. Das frustriert mich sehr! Das ist nur ein Teilaspekt für einen nachhaltigen Finanzplatz. Und einer, den wir mit Standards und Transparenz aus dem Weg räumen können. Das Problem mit den Standards ist, dass sie nicht so einfach sind: Firmen und damit Fonds lassen sich im Grundsatz nicht in gut oder böse einteilen, grün oder nicht-grün. Der Gegensatz besteht zwischen Firmen, die verstanden haben, dass sie ihr Geschäftsmodell und ihre Produkte ändern müssen, und jenen Firmen, die das nicht verstanden haben – und das sind Firmen, in welche wir nicht mehr investieren werden. Wenn eine Firma auch langfristig weiter Erdöl machen will, dann kann sie das tun. Aber ohne uns.
Macht die Finanzbranche genug?
Sie macht immer mehr. Denn alle, oder jedenfalls fast alle haben begriffen, dass ihre Kapitalkosten steigen werden, wenn sie den CO2-Ausstoss der Firmen nicht prüfen, denen sie Geld ausleihen. Gleichzeitig werden sich die Risiken erhöhen für die Anlagen, in die sie investieren. Oder anders gesagt: Investitionen in Firmen, die Umweltschäden verursachen, werden heute von den Regulatoren weltweit als zusätzliches Risiko eingestuft. Und Risiken müssen nun mal mit zusätzlichem Kapital abgesichert werden. Mehr Risiko, heisst höherer Kapitalbedarf, heisst Wettbewerbsnachteil. Das sind nicht leere Worte, das ist heute die Realität.
Sie sind also mit der Linken einverstanden, dass beim Finanzsektor ein grosser Hebel liegt?
Ja, klar! Aber das hat nichts mit Parteipolitik zu tun, es geht nicht um links, rechts oder Mitte. Es ist ein universelles Problem. Wir müssen jetzt alle zusammenarbeiten, damit die Schweiz erreicht, was sie versprochen hat: Netto-Null bis im 2050. Das CO2-Gesetz war ein Instrument, um dieses Ziel einfacher zu erreichen. Leider wurde es abgelehnt, nun müssen wir ein neues Gesetz entwerfen. In der Zwischenzeit anerkennt die Schweiz den weltweiten Standard und die damit verbundenen Auflagen der (International) Task Force on Climate-related Financial Disclosures, also der internationalen Arbeitsgruppe zur Klimaberichterstattung (zu klimabezogenen Finanzangaben).
Das ist aber nur eine Empfehlung.
Ja, vorerst noch. Aber ich gehe davon aus, dass die Schweiz den Standard bereits Ende Jahr als obligatorisch erklärt. Das heisst: Ende Jahr werden alle ihren CO2-Ausstoss publizieren müssen.
Und einen solchen Zwang würden Sie gut finden?
Absolut! Das wird dem Finanzsektor helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir brauchen mehr und standardisierte Informationen und mehr Transparenz. Wir müssen alle wissen, wovon wir reden. Und wir sollten alle vom gleichen reden.
Nochmals: Müssten die Banken den Druck auf die Erdölfirmen nicht erhöhen?
Seien wir doch ehrlich: Wir wollen alle immer Strom. Für unsere Handys, für unser Elektrovelo, für unseren Computer. Und leider kommt heute noch immer der grösste Teil des Stroms aus fossilen Energieträgern. Natürlich: Das müssen wir – wo möglich – eliminieren, und ja: wir müssen noch schneller werden. Aber nicht mittels Finanzierungsverbote, sondern mittels Anreize.
Genau dieser Anreiz-Gedanke hat bei CO2-Gesetz nicht funktioniert.
Ja, die Leute haben realisiert, dass dieses Gesetz sie etwas kosten wird. Die Angstkampagne – etwa aus der Immobilienbranche – hat verfangen. Letztlich hat also der Erhalt des Monatsbudgets über den Erhalt des Planeten gesiegt. Trotzdem: Wir müssen umdenken, alle. Nicht nur die Firmen, auch die Menschen. Es braucht, wissenschaftlich definierte Ziele, die verständlich sind. So kann sich das Verhalten ändern. Um das geht es bei «Building Bridges»…
Das ist doch einfach eine weitere Konferenz?
Ja, aber eine bessere und hoffentlich eine umfassendere.
Das sagen alle Organisatoren.
Aber ich weiss, dass es so sein wird. «Building Bridges» findet einen Monat nach der Klimakonferenz in Glasgow statt, hier hin Genf können wir dann über die konkrete Umsetzung der in Glasgow verabschiedeten Zielen beschäftigen, es wird viele Initiativen geben, Initiativen, die einen Unterschied ausmachen. Das schlimmste wäre nichts zu tun. Insbesondere in der Schweiz, hier in Genf, wo ich alle Chefs der wichtigen internationalen Organisationen treffen kann. Egal ob UNO, Welthandelsorganisation WTO oder internationale Arbeitsorganisation ILO: Sie sind alle nur 15 Minuten mit dem Tram entfernt. Das ist ein weltweit einzigartiges Setting und für die Schweiz ein Wettbewerbsvorteil! «Building Bridges» ist aber keine Konferenz im eigentlichen Sinn.
Sondern?
Es ist eine Gemeinschaft, eine Bewegung von Menschen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, den internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft. Es gibt zuerst einen eintägigen Gipfel und dann rund 50 Veranstaltungen. Das Ganze dauert vier Tage. Es ist wie Woodstock. Die besten Ideen kommen nicht zwingend am ersten Tag, so wie auch in Woodstock nicht das beste Konzert am ersten Tag stattfand.
Verzichten Sie persönlich auch auf Sachen zugunsten des Klimas?
Mit unserer 225-jährigen Geschichte, kann ich sagen, dass Nachhaltigkeit zu unserer DNA gehört. Bei Lombard Odier haben wir unsere CO2-Bilanz gemacht und publiziert. Und wir haben Massnahmen getroffen: Wir haben keine Plastiksäcke mehr, haben den Wasserverbrauch gedrosselt, Lampen installiert, die ausgehen, wenn man den Raum verlässt. Den grössten Hebel aber haben wir als Dienstleistungsunternehmen bei der Mobilität. Deshalb nehme ich schon länger nicht mehr das Flugzeug von Genf nach Paris oder Zürich. Ich fühle mich besser und habe keinen Ärger mit meinen Kindern.
Patrick Odier – Kopf einer neuen Initiative
Der 66-Jährige ist Teilhaber der Genfer Privatbank Lombard Odier und Präsident der Vereinigung Swiss Sustainable Finance. Er gründete die Initiative «Building Bridges», eine Konferenz, die vom 29. November bis 2. Dezember in Genf stattfindet und vom Schweizer Finanzplatz, der Bankiervereinigung, dem internationalen Genf, zahlreichen NGOs sowie vom Bund unterstützt wird. (fv)
kursiv: aus redaktionellen Gründen modifiziert (DD)