Der Abschied vom Diesel nimmt Fahrt auf. Die Truckhersteller planen 1700 Ladepunkte in Europa – doch die Branche braucht viel mehr.
Martin Murphy + Markus Fasse – 05.07.2021 Update: 05.07.2021 – 15:36 Uhr
Die drei Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck, Traton und Volvo Group haben eine Absichtserklärung über den Aufbau und den Betrieb eines öffentlichen Hochleistungs-Ladenetzes für Batterie-elektrische schwere Fernverkehrs-Lkw und Reisebusse in Europa unterzeichnet. Die Vereinbarung sei Basis für die Gründung eines zukünftigen Joint Ventures mit Sitz in Amsterdam, das von den drei Parteien zu je gleichen Teilen gehalten werden soll, wie Daimler mitteilt. Das noch namenlose Gemeinschaftsunternehmen soll 2022 den Betrieb aufnehmen. Das Joint Venture solle eigenständig operieren und dabei „auf die umfangreiche Erfahrung und das Wissen der Gründungsunternehmen im Bereich schwerer Lkw” aufbauen können. Die endgültige Vereinbarung zur Gründung des Joint Ventures soll – vorbehaltlich der behördlichen Genehmigungen – bis Ende 2021 unterschrieben werden. Geplant ist die Investition von 500 Millionen Euro für die Errichtung von mindestens 1700 Hochleistungsladepunkte in den kommenden fünf Jahren
Bislang existieren europaweit gerade einmal zehn solcher Ladesäulen für schwere Lastwagen – viel zu wenig für den Umstieg von Diesel auf Strom. Nach anfänglichem Zögern haben Daimler, die VW-Tochter Traton (MAN, Scania) und Volvo Trucks in den vergangenen Monaten ihre Strategien umgestellt und ehrgeizige Pläne für die Elektrifizierung ihrer Lkw-Modelle angekündigt. Sie reagierten damit auf die zunehmende Verschärfung der Klima- und Abgasvorschriften, die den Betrieb von Dieselflotten faktisch unrentabel machen wird.
Ohne Schnellladesäulen sind Elektrolastwagen und -busse aber unverkäuflich. Diese Hürde wollen die drei Hersteller mit der Gründung der neuen Firma beseitigen, die eigenständig von ihrem Sitz in Amsterdam aus die Elektroinfrastruktur aufbauen soll. Das Management werde weitgehend unabhängig die Entscheidungen für den Aufbau des Netzes fällen können, sagte Traton-Chef Matthias Gründler dem Handelsblatt. Gründler betonte wie der Daimler-Vorstand Martin Daum und Volvo-Chef Martin Lundstedt in einem gemeinsamen Interview, dass die Firma offen für weitere Partner ist.
Vorbild für das Vorhaben ist Ionity (für Personenwagen): Das Gemeinschaftsunternehmen der Autohersteller baut eine Elektroinfrastruktur entlang der Autobahnen auf.
Europa braucht 2025 bereits 15.000 Ladepunkte für Trucks
2022 wollen die Truckhersteller die ersten Ladesäulen an Europas Autobahnen und Güterumschlagplätzen errichten, über die die Fahrzeuge mit Ökostrom geladen werden können. Doch auch wenn die Unternehmen Tempo machen, den erwarteten Bedarf an Elektrotankstellen werden sie aus eigener Kraft nicht befriedigen können. Der europäische Branchenverband ACEA beziffert den Bedarf für das Jahr 2025 auf bis zu 15.000 Ladepunkte für Lastwagen und Busse. Dies ist aber nur der Anfang: „Im Jahr 2030 dürfte der Bedarf bei bis zu 50.000 Ladepunkten liegen“, sagte Volvo-Trucks-Chef Lundstedt. Ziel der Partner ist es, dass die Spediteure ihre Lkws und Busse von Schweden bis zum südlichsten Zipfel Italiens problemlos laden können. Letztlich werde überall da eine Ladesäule stehen müssen, wo heute bereits ein Nutzfahrzeug parke, sagte Lundstedt.
Diese Erkenntnis ist nicht überraschend, da die EU den Ausstoß von Kohlendioxid stärker begrenzen wird. Allerdings war unklar, wer das Netz von Stromladepunkten über Europa spannen wird. Die Unternehmen aus der Energie- und der Mineralölwirtschaft zögern mit Verweis auf die hohen Investitionen und die bisher mangelnde Nachfrage. Vor zweieinhalb Monaten habe daher sein Kollege Gründler das Projekt angestoßen, sagte Lundstedt. Schnell sind sich die drei Marktführer laut Daimler-Truck-Chef Daum über das weitere Vorgehen bei den Stromladepunkten einig geworden. „Wir konnten nicht länger warten, sondern müssen jetzt die Weichen für deren Aufbau stellen”, sagte Daum.
Daimler-Truck-Chef Martin Daum: Auch Daimler hat sich ehrgeizige Ziele für die Elektrifizierung der Lkw-Modelle gesetzt
Die Hersteller müssten ihren Kunden die „Reichweiten-Angst” nehmen. Eine Alternative gebe es dazu nicht. Denn bereits im Jahr 2025 müssten bis zu zehn Prozent der in Europa verkauften Lkws emissionsfrei angetrieben werden. Die Wende bei Lkw-Antrieben gewinnt damit an Fahrt. Quer über die Branche hinweg entwickeln die Unternehmen neue Elektromodelle. Nach einer mehrjährigen Erprobungsphase geht etwa der Mercedes eActros nun in Serie und soll eine elektrische Reichweite von bis zu 400 Kilometern haben. Auch die Traton-Töchter MAN und Scania bereiten wie Volvo die Serienproduktion von Stromlastern vor.
„Elektromobilität wird jetzt auch mit dem Lkw erfahrbar”, konstatierte Bernd Heid, Senior Partner von McKinsey, kürzlich im Rahmen der Handelsblatt-Jahrestagung Nutzfahrzeuge 2021. „Jeder Hersteller hat mittlerweile serienreife Produkte, die kurz vor dem Start stehen oder schon im Einsatz sind.” Der Experte ist sicher: Nach dem Pkw wird die Elektromobilität nun auch im Schwerlastverkehr alltagstauglich. „Man kann es sich als Truckhersteller gar nicht mehr leisten, KEIN elektrisches Angebot im Portfolio zu haben.”
Der Grund: In Europa etwa muss die Industrie den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid bei schweren Lastwagen bis Ende des Jahrzehnts um fast ein Drittel im Vergleich zum aktuellen Niveau senken. Womöglich werden die Ziele sogar verschärft. Ohne elektrische Antriebe ist diese Reduzierung unmöglich. Daher rüsten die Hersteller massiv auf und investieren gewaltige Summen, um milliardenschwere Strafen zu vermeiden. Spätestens bis 2050 soll der Dieselmotor bei neuen Lastwagen weltweit nicht mehr eingesetzt werden.
Elektrotrucks sind noch doppelt so teuer wie Diesel-Lkws
So soll bei Traton ebenso wie bei Volvo Trucks bereits bis 2030 jeder zweite neu verkaufte Lastwagen elektrifiziert sein. Der Stuttgarter Rivale Daimler Truck kalkuliert gar damit, bis zu 60 Prozent seiner Neufahrzeuge bis Ende der Dekade mit einem elektrischen Antrieb verkaufen zu können. Das sind ambitionierte Ziele, denn Elektrolaster sind in der Anschaffung im Schnitt doppelt bis dreifach so teuer wie Diesel-Lkws.
Über geringere Betriebskosten wie die Haltungsdauer relativiert sich der hohe Anschaffungspreis zwar, aber bis zur völligen Kostenparität bei den sogenannten Total Cost of Ownership (TCO) wird es wohl noch drei bis fünf Jahre dauern.
Alle drei Nutzfahrzeughersteller stellen auf Lastwagen und Busse mit Batterieantrieb um. Allerdings setzt nur Traton auf die Technik auch für Schwerlaster, während Daimler und Volvo zweigleisig fahren. Sie entwickeln in einem Joint Venture den Serieneinsatz der Brennstoffzelle für schwere Lkw, wobei Strom aus Wasserstoff hergestellt wird. Traton hält das für zu teuer und ineffizient. Bislang hat diese Technologie mehrere wesentliche Nachteile: Wasserstofftrucks haben einen deutlich geringeren Wirkungsgrad, und aus Ökostrom produzierter Wasserstoff ist knapp. Zudem mangelt es an Tankstellen: Europaweit existieren nicht einmal ein Dutzend Wasserstofftankstellen für Nutzfahrzeuge.
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